Der Antiquitätenhändler
Ein Stück von Wolfgang Palka
Personen
Georg
Klara
Zerina
3 Damen
Musiker
Bühne
Schauplätze Antiquitätenladen und Wohnung,
aber ein Bühnenbild: der Tisch etwa ist Tisch und Theke,
Gegenstände nach Bedarf.
Aufführungsrechte
Alle Rechte vorbehalten
1.
(Georg im Rollstuhl. Die drei Damen)
Georg
Gottlob, dass ich zumindest – Aber das wollen Sie nicht wissen.
(Er lacht)
Noch ein Glück. Wie sagt die Tante Jolesch? Gott möcht abhüten davor, was noch ein Glück.
Jedenfalls kann ich nicht rechnen mit völliger Wiederherstellung aller Funktionen. So sitz ich also durchaus nicht zu meinem Vergnügen in einem Rollstuhl. Zwar: ich kann aufstehen, aber nur mühsam und sehr langsam und besser am Stock – Das soll ich aber immer wieder –
Dame 1
Der Schlaganfall.
Georg
Ich habs schon erzählt.
Dame 1
Ja.
Georg
Öfter.
Dame 1
Ja. Nun ja.
Georg
Auf jeden Fall ist, wollt ich sagen, wollt ichs nicht sagen – die Gefahr? Ja?
Dame 1
Die Gefahr?
Georg
(lacht)
Ob ich einen zu langen Satz angefangen und … Ich meine, ich kann lange Sätze bilden und verschachtelt, wie der Bürgermeister, bewunderswert, und hinten ist das Verb, nach Stunden, richtig – aber die Gefahr …
(Er grübelt)
Dame 1
Solche Behinderung, wenn ich so sagen darf, verzeihen Sie, verändert selbstverständlich alles.
Georg
Nicht alles.
Dame 1
Das wünscht man sich. In Wahrheit verschiebt sich alles in einem Maße …
Georg
Ja, es verschiebt sich. Dadurch ist alles, auch was gleich bleibt, anders – Sie haben recht – verschoben eben.
Dame 1
Eben.
Georg
Und ich war furchtlos, immer. Durch die Verschiebung aber – Ist das jetzt ein Euphemismus? Müsst ich nicht sagen: durch den Schlaganfall, durch den diese Verschiebung – sodass alles jetzt anders …? – Die Gefahr ist größer. Obzwar nicht in dem Maße größer, in dem ich sie empfinde. Also die Furcht. Weil die Furchtlosigkeit, meine Furchtlosigkeit, die Gewissheit der Unsterblichkeit im Grunde, und ich war jung, obwohl ich objektiv, heißt biologisch, gar nicht mehr so jung, wenn ich auch jünger aussah – Früher überhaupt: so braungebrannt von einem Sonnenstrahl im Frühling, wild und strotzend vor Kraft … Dennoch bin ich heiter und nehm es, wie es kommt, weil, wenn ichs anders nehme, ists nichts anders – kennen Sie den Witz: ich bin stolz darauf, ein Jud zu sein, denn wenn ich nicht drauf stolz bin, bin ich auch ein Jud, so bin ich lieber stolz?
(Die Damen lachen)
So nehme ichs mit meiner Krankheit, der Behinderung. Der Tod hat mich gestreift, ganz unpathetisch – was ich meine: ich sage das ganz, denk es unpathetisch. Gestreift. Der gestreifte Tod.
(Er kichert)
Der Tod hat mich gestreift und mich in diesen Stuhl geworfen. Aus dem ich, wie gesagt, durchaus, und ich sollts oft tun, aufstehen kann.
(Er zieht aus einer Seitentasche des Rollstuhls eine Pistole und hält sie hoch; leichtes Erschrecken der Damen)
So ist das Surrogat – die Puffen! –
(Anmerkung: für „Puffen“ das regional entsprechende Wort einsetzen.)
(Er genießt den Moment)
Ist Ihnen ein Begriff, das Wort: die Puffen?
Dame 1
Nein.
Dame 2
Ich kenne das Wort.
Dame 1
Sie ist aber nicht geladen, oder?
Georg
Natürlich, was denken Sie!
Dame 1
Nein!
Georg
Entsetzt?
(Er lacht)
Dame 1
Ja sicher! Ich dachte – nur der Gegenstand, die Abschreckung – nicht geladen –
Georg
Tödlich, wenn die Gefahr –
Dame 1
Aber die Waffe schafft die Gewalt! wenn keine Waffen, oder die Waffe nur als Gegenstand – die Holzpistole, dann ist die Gefahr viel geringfügiger –
Georg
Ich habe das im Griff. Ich schieße nicht. Ich kann schießen und schieße nicht. Auch ein Küchenmesser, verbieten Sie auch das Küchenmesser? So ein Blödsinn. Der Mann ist die Gewalt, nicht das Gewehr! Und ich bin friedlich. Nur bei Gefahr –
Die Damen
Aber die Waffe, weil sie da ist, durch die Möglichkeit, weil sie Gewalt ist, die Verführung –
Georg
Geschwätz.
Dame 1
Da möcht ich nicht in Ihrer Nähe sein, wenn plötzlich das Gefühl der Übermacht, oder wenn ich nur, zum Beispiel, mit einem Preis nicht recht zufrieden, und dann, Angst, dass ich dann – wissen Sie: ich feilsche gern um Preise, wie Sie wissen – und dann, wenn ich denke, in dem Rollstuhl diese Waffe …
Georg
(lacht)
Die Damen
Entsetzlich!
Dame 1
Da möcht ich nicht –
(Sie geht. Auch die anderen Damen gehen, ihr nach)
Georg
(ruft)
Ich habe das im Griff. Der Mann ist die Gewalt, nicht das Gewehr – die Puffen ist nur eine Möglichkeit, damit die Angst … Geht doch zum Teufel. Weiber! Ich habe Geld genug. Ich muss euch nichts verkaufen. Scheißweiber!
(Klara ist gekommen)
Klara
Ach ja?
Georg
Du auch.
Klara
Nicht überhaupt nur ich?
Georg
Ja ja …
Klara
Steckst du das weg?
Georg
Das – was?
Klara
Den Eisenschwanz.
(Sie kichert. Setzt sich auf einen Stuhl, lehnt sich zurück)
Wenn du schießen willst auf mich, dann schieß. Aber fuchtel nicht vor andern damit herum. Die fürchten sich.
Georg
Du nicht?
(Er zielt auf sie)
Klara
Ich glaube nicht. – Und es erregt mich auch nicht.
(Stille)
Georg
(nimmt die Pistole herunter und
verstaut sie im Rollstuhl)
Klara
Wie war dein Tag?
Georg
Ganz gut. Geschäfte. Egal.
2.
(Georg und Zerina)
Georg
Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht … Sie wissen, ich bin ein wenig behindert – nicht, dass ich immer im Rollstuhl, aber um mirs angenehmer zu machen, könnte ich ein wenig Betreuung – eine Art Krankenpflegerin …
Zerina
Und ich soll das machen?
Georg
Eventuell – meine Frau sagt mir, Sie brauchen Arbeit, zusätzlich.
Zerina
Ich habe gedacht, andere Putzarbeit.
Georg
Ja, aber ja – wie Sie möchten – Sie sind mir schon vertraut. Und Sie könnten auch in unserem Gästezimmer …
Zerina
Ich will keine Last sein.
Georg
Aber doch keine Last!
Im Gegenteil.
Ich bin die Last. Und wenn ich aber zahle, dass jemand – Sie sind mir angenehm.
3.
(Klara und Zerina)
Klara
Sie müssen nicht Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Das hat er gern, aber das verlangt niemand. Arbeitszeit, als wären Sie angestellt. Und wir stellen Sie an, selbstverständlich, sobald Sie arbeiten dürfen, sobald dieses lächerliche Verfahren abgeschlossen ist.
Zerina
Aber wenn – wenn ich nicht bleiben darf?
Klara
Sie dürfen. Da gibt es Präzedenzfälle genug, dass man Sie nicht abschieben kann. Zwar hat dieses Land allen Anstand verloren. Aber gänzlich misstrauen muss man dem Recht noch nicht. Nicht dass es gerecht wäre. Aber noch nicht völlig hilflos.
Zerina
Danke.
Klara
Wissen Sie, Zerina, es ist kein Dank nötig. Sie arbeiten für uns. Sie machen das gut. Mein Mann hat sich das ausgesucht. Weil sie eine so hervorragende Putzfrau, hat er Sie als Pflegerin. Das hat mit mir nichts zu tun. Ich hätte vermutlich irgendeine diplomierte Krankenschwester, aber er wollte ein bekanntes Gesicht. Vielmehr macht ihn das Unbekannte nervös, und deshalb. Das ist gar nicht freundlich.
Wenn es nicht funktioniert, ich kenne ihn, wird er ganz schnell sich wieder von Ihnen trennen wollen. Das heißt nicht, Sie sollen sich alles gefallen lassen.
Ich weiß, es ist schwierig. Das ist jetzt eine gutbezahlte Arbeit, illegal, aber wen kümmerts. Aber wenn die verlorengeht, haben Sie Anspruch auf nichts. Keinerlei Schutz. Das will man nicht verlieren. Das erzeugt Abhängigkeit. Da lässt man sich ausnützen über die Maßen. Und unterwirft sich.
Je nun – ich wills nicht. Und wenn mein Mann unverschämt ist, kommen Sie zu mir. Zwar …
Zerina
Ich bin dankbar.
Klara
Kein guter Ansatz.
4.
(Georg und Zerina)
(Sie serviert ihm ein Essen)
Georg
Danke. – Meine Frau …?
Zerina
Noch in der Arbeit. Und dann in der Oper.
Georg
Geht jetzt allein in die Oper.
Zerina
Nicht allein.
Georg
Aha …
Zerina
Kollegen, sie hat gesagt.
Georg
Kollegen.
(Er isst. Schaut auf)
Ich brauch Sie nicht mehr.
Aber Sie können selbstverständlich, wenn Sie möchten, fernsehen …
Zerina
Ich hab Fernsehen im Zimmer.
Georg
Aha …
Zerina
Frau Klara hat mir gegeben.
Georg
Wie perfekt.
Zerina
Aber ich kann bleiben. Wenn Sie nicht allein …
Georg
Ach. Allein. Ich kann allein sein. Und dass Sie nur da sitzen und sich langweilen –
Zerina
Ich kann da sitzen. Ich kann auch lesen vielleicht. Kann ich was lesen? Lesen ist sehr gut für die Sprache.
Georg
Sie können was lesen, natürlich.
Zerina
Was? Was kann ich lesen?
Georg
Was interessiert Sie denn?
Zerina
Schöne Geschichten.
Georg
Liebesromane etwa?
Zerina
Nicht das Gelogene. –
Ich hab viel gelesen in meiner Sprache, die Literatur. Aber ich will jetzt keine schrecklichen Geschichten, nicht das Tragische. Aber die Literatur.
Georg
(lacht)
Die Literatur!
Zerina
Ist es nicht richtig?
Georg
Doch doch, völlig richtig.
5.
(Georg am Tisch. Klara kommt)
Klara
Willst du rauchen?
Georg
Ich soll ja nicht.
Klara
Ich weiß, dass du nicht sollst. ich frag nicht, ob du sollst.
(Sie setzt sich neben ihn, legt den Arm um ihn)
Sei süß. Es geht ja aufwärts.
Georg
Ja, für dich.
Klara
Du bist behindert. Und? Auf Zeit. Wir sind ein Team.
Georg
Aber du bist jung.
Klara
Ja, umso besser.
Georg
Ich will ficken.
Klara
Nicht gleich allzuviel.
Georg
Du fickst ja herum.
Klara
(nach einer Weile)
Das weißt du.
Georg
Sicher.
Klara
Nun ja.
Georg
Was heißt das?
Klara
(rückt von ihm weg)
Lass doch. Ein Liebespaar sind wir schon lang nicht mehr. Und außerdem …
Georg
Ja, außerdem. Das war, bevor ich –
Klara
Und?
Georg
Du bist meine Frau!
Klara
Ach ja.
Georg
Ja. Ja!
Klara
Und als solche hab ich eheliche Pflichten?
Georg
Ja.
Klara
Die du, könntest dus, nicht haben willst.
Georg
(lacht plötzlich)
Genau.
(Stille)
Klara
Du kriegst sie nicht.
Georg
Was?
Klara
Zerina. Du kriegst sie nicht.
Georg
Ach – Will ich sie denn kriegen?
Klara
Sie spielt mit dir.
Georg
Das weißt du nicht.
Klara
Du träumst.
Georg
Im Traum, da steh ich ohne Mühe auf und … ach …
Klara
Ein schöner Traum.
Georg
Es ist kein Spiel.
Klara
Dann Vorsicht. – Sie wird dich verlassen, ehe du aufstehst ohne Mühe.
Georg
Ja sicher. Weil ich nie mehr … Scheißdreck.
(Stille)
Klara
(entspannt)
Du willst nicht mich vögeln.
Georg
Dich vögeln?
Klara
(lacht)
Wie jeder weiß. – So also vögle ich, wen ich will.
Georg
Du fickst herum. Ich will das nicht.
Klara
Ich will dein Spiel nicht mit Zerina.
(Er funkelt sie an)
Nein, keine Erpressung. Wir sind ein Team, kein Liebespaar. Schon lang. Und ich hab lang gebraucht, dass ichs begreif. Und dich gehasst. Und als ich dich verlassen wollte, wars nicht mehr nötig. Das fandst du toll. Und ich dann auch. Und eines Tages liebte ich dich wieder. Dabei bleib ich, bei dieser Liebe. Und lebe, was ich leben kann, das Ganze, Teile – was so kommt. Ich bin erwachsen.
Georg
Aber alles hat sich geändert!
Klara
Nicht für mich. – Dass du behindert jetzt, für eine Zeit lang, sagen wir, wer weiß, man weiß es nicht – nun ja: du lebst, das freut mich sehr – und eines Tages, hoffen wir, da stehst du ohne Mühe auf, und ich werd glücklich sein. Und du dann wieder grässlich. – Und ich bin da für dich, jetzt, und auch dann, nicht immer, weil immer – was soll „immer“ sein? Ich will nicht tot sein, weil du dich tot fühlst.
Georg
Dass du so klug, so über alle Maßen klug …
Klara
Vielleicht ists nur ein Arrangement – Resignation, eingepackt in Weltklugheit. Weil du, der Feger, nicht zu halten warst, hab ich mich eingerichtet, und genieße, jetzt, weil du jetzt kraftlos, meine Kraft, und räch mich heiter – Aber …
Georg
Nein nein.
Klara
Ich fühls nicht so. Es tut mir weh, dass du nicht stark, ich mein, du bist ja stark, sobald du willst, aber dass dein Körper nicht macht, was er soll – das tut mir weh. Aber es nützt dir nicht, wenn ich verzage, wenn ich verzichte. – Ach, ich liebe dich. Und damals, als wir noch, o, das war fein, weißt du, du warst der beste, Sex mit dir, das war nicht einfach Sex – das weißt du ja.
Georg
(dumpf)
Ja.
Klara
Und, weißt du, ich ficke nicht herum.
Georg
Du fickst nicht?
Klara
Mhm – ein wenig …
Georg
Mit wem?
Klara
Soll ich sie mitbringen?
Georg
Sie?
Klara
(lacht herzlich)
Nein, keine Frau.
Georg
Mehrere.
Klara
Sei froh.
Georg
Wenns eine Frau wär …
Klara
Dürft ich sie bringen, ja, ich weiß, und du schaust zu. Nein, keine Frau.
Georg
Schade.
6.
(Georg und Zerina. Zerina mit einem Buch. Georg ist gerade aufgestanden)
Zerina
(auf)
Ich helfe –
Georg
Nein, bleiben Sie sitzen!
Zerina
(setzt sich)
Georg
(macht einen Schritt)
Ich muss üben. Langsam. Ich muss meinen Körper wieder finden.
Zerina
Schwer.
Georg
(noch einen Schritt)
Sie haben keine Ahnung.
Zerina
Den Körper wieder finden? Doch!
Georg
Ach. Sie sind jung, gelenkig.
Zerina
Aber verschlossen, der Körper. Er spürt nichts mehr. Er bewegt sich, aber spürt nichts.
Georg
(Schritt)
Ach, ich hab ja nur einen Schlaganfall, während Sie …
Zerina
(auf, will hinausgehen)
Georg
Was denn? Sie können doch jetzt nicht …
(Er taumelt)
Zerina
(stürzt zu ihm hin, stützt ihn)
Georg
(keucht)
Rollstuhl …
(Sie hilft ihm in den Rollstuhl, steht bei ihm. Stille.)
Hab ich sie angeschrien?
Zerina
Nein.
Georg
Ich hab Sie angeschrien.
Zerina
Es macht nichts.
Georg
Weil Sie plötzlich von Ihrem Körper, als wär er taub wie meiner.
Zerina
(nickt)
Taub.
Georg
(starrt sie an)
Man hat sie gefoltert.
Zerina
(zuckt, es schüttelt sie)
Georg
Vergewaltigt.
Zerina
Ja.
Georg
Oft?
Zerina
Immer.
7.
(Georg. Damen)
Georg
Man denkt: eine Putzfrau, eine Pflegerin. Man denkt, man ist gütig, ein guter Mensch, sie ist ein Flüchtling. Man denkt, man nimmt einen Flüchtling auf und bezahlt sie ordentlich, man ist nicht etwa ein Schwein, der die Situation ausnützt. Man ist stolz auf sich, man hat keinerlei Vorurteile. Allenfalls: man erwartet sich natürlich eine bessere Leistung als von angeödeten Pflegerinnen. Aber dass da ein Schicksal, dass da die ganze Tragödie eines Volkes – das interessiert eigentlich nicht. Was gehts mich an? Ich hab ja selber meinen Schmerz. Ein Krüppel. Aber dass da in diesem jungen Körper, Frauenkörper, in diesem schönen Körper, die Male das Krieges – die Gewalt – die Vergewaltigung – Folter …
(Er ist ganz hingerissen)
Die Damen
Besser vermutlich, man denkt nicht dran.
Georg
Wieso? Lächerlich! Ich beklage die Gleichgültigkeit. Und soll es wegschieben, gleichgültig? Als ob nichts wäre, als könne mans vergessen? Das Bewusstsein, verstehen Sie? Wenn auch der Körper … Der Körper vergisst nichts, sagt man. Aber natürlich ist es das Bewusstsein, das die Landkarte des Körpers – der Körper selbst lebt nur so hin, alternd.
Die Damen
Besser man denkt nicht dran.
Georg
Ach!
Dame 1
Sie sollten vielleicht mehr hinaus in die frische Luft.
Dame 2
Ja genau. Immer hier verkriechen. Da kommt man ins Grübeln.
Dame 3
Was das Leben ist.
Georg
Was mach ich da? Draußen? Gesunden?
Dame 2
Ja, gesunden.
Dame 1
Die Seele, wenn der Körper gesund –
Georg
Gesunde Seele in einem gesunden Körper?
Dame 1
Warum nicht? Auch wenn der Spruch missbraucht.
Dame 2
Man kann sich das Richtige nicht nehmen lassen von den Falschen.
Georg
Dass ein Verstand nichts nützt gegen das, was sich einbrennt, die Male, dass mans nicht abwaschen kann, dass es, man weiß es ja, aber so hautnah, und kann sichs gar nicht vorstellen. Natürlich – man hat Filme gesehn. Aber Filme sind Filme. Nicht einmal die Nachrichten sind einfach nur die Wahrheit. Dass es eine Verkrüppelung!
Ich tausche, sag ich, lieber ein Trauma, aber beweglich; nichts kann so schrecklich sein wie das, dieses Sitzen im Rollstuhl, die wenigen Schritte – und in einem Tempo – Sie wissen ja. Aber andererseits – was nützt es, wenn mans kann: sich schmiegen – wenn man der Lust sich hingeben kann, und kanns nicht!
Krüppel beide. Man müsste das wirklich können, auslöschen, was einen quält, wie zum Arzt wegen einer Grippe und dann sich hinlegen und sagen: die Jahre, dieser Tag im November, dieser Schmerz, der sich eingeprägt, dieser Augenblick der Folter und der Vergewaltigung – löschen bitte!
Aber man kann nicht Gedanken … schon gar nicht Gefühle, man kommt in den Kopf nicht hinein.
Nur selber kann man vergessen.
Dass ich einmal ein Mann – Ich kann das nicht vergessen. Nicht lieben können, wissen Sie, nur noch platonisch, das ist das Schlimmste. Und wir können nicht mehr lieben, beide. Vielleicht ists das Gleiche, nur verdreht. Und was ist schlimmer?
Die Damen
Nicht vergleichbar.
Georg
Natürlich nicht.
Die Damen
Es gilt zu leben. Die Erinnerung und das Vergessen sind ein Teil dieses Lebens.
Georg
Leben – so hin, wie angeschlossen an eine Maschine, leer und zu voll von Erinnerung und ohne Hoffnung, dass sich viel ändern kann? Das, sie kanns vergessen, es ist eine Möglichkeit, wenn auch nicht wahrscheinlich. Man merkt sich ja auch nicht alles. Ich aber – Sie kann, wenn eventuell ein guter Therapeut – den zahl ich ihr auch noch …
(Er lacht)
Dame 3
Sie werdens nicht herausfinden.
Georg
Was?
Dame 3
Was schlimmer ist – toter Körper oder tote Seele.
Georg
Ich weiß.
Dame 3
Und wozu auch.
Georg
Ja, wozu.
Dame 3
Auch spüren, was ein anderer spürt, tatsächlich, wie dann unterscheiden, was man selbst gespürt und was man eigentlich nicht gespürt, aber spürt jetzt? Und wie aushalten, wenn sichs mischt – das nämlich bedenkt man nicht.
Georg
Man stirbt dran, wahrscheinlich.
(Er grübelt)
Dame 3
Wie auch grenzt man sich ab? Was für Gefühle stoßen zu meinen, was lass ich herein, wie wehren? Wenn jemand will, dass ich spüre, was er spürt – ists denn der Wille überhaupt, lässt sichs denn steuern, oder Zufälle, ein Geräusch, ein Blick, die auslösen, dass man überschwemmt wird von anderen Gefühlen, die dann die eigenen sind? Oder Typen: einige sind abgegrenzt, andere wehrlos und explodieren, aber was, wenn die Wehrlosen alle explodiert und ausgestorben? Dann ist es wie jetzt – man will, aber kann nicht.
Georg
Ja ja.
Dame 3
Binsenweisheit.
Georg
Was?
Dame 3
(lacht)
Im Grunde hab ich bewiesen, dass nicht sein kann, was nicht sein kann.
Georg
Und dennoch.
Die Damen
Besser man denkt nicht dran.
Georg
Die gesunde Seele, wenn der Körper gesund – das ist doch der blödeste Spruch. Und ich, damals, ich war zerfressen, nicht weniger als jetzt. Anders zerfressen. Und ich scheiß drauf, wenn – wie man sagt – meine kranke Seele den Körper ruiniert hat. Ich scheiß überhaupt drauf. Auch wenns eventuell wahr ist. Dass ich selber schuld bin. Ich scheiß auf die Schuld und auf die Ursachen.
Die Damen
Sie sind verbittert.
Georg
Genau.
8.
(Georg und Zerina)
Zerina
(ausdruckslos, schnell)
Mein Vater ist weggegangen, aber der neue Vater freundlich, nie ein lautes Wort und Liebe: sie lieben sich sehr, er und die Mutter. Das war gut. Der Vater war zu uns auch gut, der wirkliche Vater. Nur, er hat zuviel getrunken. Und geweint wenn besoffen. Aber böse mit meiner Mutter. Er wollte was anderes werden, aber das war nicht möglich im Dorf. Er wollte weg, aber das ging nicht mit Kindern. Dann ist er weg allein. Ich weiß nichts von ihm mehr. Ich bin ich auch weg mit siebzehn, keine Arbeit im Dorf, zu einer Tante, dort im Haushalt. Dann aber der Krieg.
Und verhaftet. Und die Tante hat mich nicht mehr kennen wollen. Nicht eine richtige Tante.
Beim Verhör haben sie mich nur geschlagen. Ich war eine Spionin. Terroristin. Ins Gesicht nur, mit den Ringen an den Fingern. Ich hab alles gesagt. Was sie wollten hören . Nicht genug, sie wollten Namen. Ich wollte Namen erfinden. Aber ich wusste keine Namen. Sie haben Namen gesagt. Ich hab ja gesagt. Ich hab unterschrieben. Alles. Ich hab nicht gesehen, was ich unterschrieben. Ich hatte Tränen. So bin ich in das Lager. Mit nur Frauen. Da haben sie uns geholt. Nicht nur die hübschen. Ich war hübsch. Zuerst.
Einmal einer, der hat mich angestarrt nur. Nackt. Ich war nackt. Er war nicht nackt. Keine Angst, keine Angst, ich will dich nur ansehn. Du siehst aus wie meine Verlobte. Hat er gesagt. Er hat das allen gesagt. Die anderen haben nicht geschaut.
Ich musste auf dem Tisch liegen mit dem Bauch. Manchmal auf dem Rücken. Immer haben sie die Kleidung zerrissen. Die war zerrissen. Noch mehr zerrissen. Manchmal meine Brust geknetet, den Hintern geknetet, an den Haaren gerissen. Das erstemal ist mir das Blut herausgeronnen den ganzen Tag, die Nacht, und ich hab erbrochen, ich weiß nicht was, das schimmlige Brot, das Wasser, die ganze Nacht, den nächsten Tag noch.
Der harte Gegenstand, kein Fleisch, hineingestoßen, ganz schnell, immer schnell – ewig – Das ist immer, überall, die Weiber werden immer vergewaltigt, das ist die Macht, seit immer. Es tut weh. Immer. Und jetzt.
(Sie wimmert ganz leise, kurz; dann stumm)
9.
(Klara und Georg)
Klara
Was machst du mit ihr? Sie ist deine Pflegerin.
Georg
Ich mache nichts. Sie pflegt mich. Sie bedient mich. Wir reden. Ich gebe ihr Bücher.
Klara
Was macht sie mit dir?
Georg
Sie erzählt.
Klara
Du weinst in der Nacht, du wimmerst.
Georg
Ich träume, ich wär sie, vielleicht. Ich kann mich nicht erinnern.
Klara
Das hättest du gern.
Georg
Ihre Schmerzen? Nein.
Klara
Du wolltest ja immer in die Köpfe. Und weil das nicht ging …
Georg
Was?
Klara
Musstest du in alle Weiber zumindest mit deinem Fortsatz.
Georg
Ich hab viele Weiber gehabt. Ja, zugegeben. Ich war böse. Ich hab dich beschissen. Du warst mir nicht genug. Ich hab dich geliebt und vergöttert, aber der manische Macho musste beweisen, dass er alle Weiber haben kann, Donjuanismus, eine Krankheit, die sollte nicht heilen. Ich gestehe. Ich habe dich betrogen. Mit allen. Und alle haben sich hingelegt. Deine besten Freundinnen haben sich hingelegt. Ja! Ja!
Klara
Ich hätte dich töten sollen.
Georg
Und alle die Weiber, ja, wie eine Furie über die Welt hin blutbesudelt. – Ich bin tot!
Klara
Ich war nicht eifersüchtig. Auch, als mir klar war, dass du mich betrügst. Ich hab dich nicht gehasst. Nur geliebt nicht mehr. Erst wollte ich weg. Aber dann, ich dachte – Eine Ehe, der die Liebe abhanden kommt, wie den meisten. Eine Ehe – ein Pakt – eine Firma. Ich war traurig. Ich war allein mit mir, und ich hab dich bedauert.
Georg
Dich bedauert.
Klara
Ja, mich auch ein wenig.
Georg
Du hast dich revanchiert.
Klara
Erst als ich nicht mehr traurig war, erst als ich keine Sehnsucht mehr hatte, die einzige, deine einzige zu sein. Es war keine Revanche. – Zerina …
Georg
Ich kann ja nicht – mit ihr, wie früher –.
Klara
Sie ist die Rache, die ich nicht mehr brauche.
Georg
Aber auch wenn ich könnte – Sie ist verletzt, vernichtet!
Klara
Du willst in ihren Kopf. Du willst sie besitzen. Alles verstehen und alles haben. Und sie wird dich verachten für dein Mitgefühl.
Georg
Du weißt nichts von ihr.
Klara
Dass sie ein Flüchtling. Dass sie im Lager – gefoltert, vergewaltigt. Was weiß ich nicht? Was sie empfindet? Dass ichs nur wissen, es mir aber nicht vorstellen kann? Je nun – wie du. Nicht ganz wie du: ich bin eine Frau.
Georg
Sie kann mit mir reden!
Klara
Aber mit wem redet sie, wenn sie redet mit dir? Mit einem Mann? Warum redet sie? Sie wird dir nicht gönnen, dass sie mit dir geredet. Weil du ja nichts begreifst. Wenn sie merkt, dass du nichts begreifst.
Georg
Du erträgst nicht, dass jemand mir nahe – und du nicht mehr.
(Stille)
Klara
Wär sie gut für dich, würd ich nichts sagen. Wärst du gut für sie, kein Einwand. Aber du und sie, das schickt der Verletzung noch Schläge nach. – Ich werde sie wegschicken.
Georg
Dann bring ich dich um.
Klara
Ich geb ihr Geld und Empfehlungen. Du musst dich nicht sorgen um sie. Und bist gerettet.
Georg
Du kannst mich nicht retten.
Klara
Nein? – Nein, wohl nicht …
(Stille)
Georg
Du hast mir das Blut ausgesaugt.
Klara
Ja klar, selbstverständlich. Aus deiner Kraft meine Kraft. Natürlich. Trottel.
10.
(Die Damen. Der Text verteilt bzw. gemeinsam, eventuell Wiederholungen, ad libitum)
Die Damen
Du sollst nicht
begehren sollst du nicht
nicht begehren
einzudringen
in die Köpfe in den
Kopf einzudringen
begehren in die Köpfe
Du sollst nicht
nehmen den Kopf
das Geschlecht nicht
nehmen im Kopf
nicht begehren
das Geschlecht
einzudringen Kopf
in Geschlecht
Du sollst nicht
wenn du nicht
im Kopf das
Begehren
Mittags im Laden
der Mann mit der Waffe
der zielt auf den Körper
der zielt auf den Kopf
der zielt aufs Geschlecht
der sucht die Mitte
um einzudringen in
den Körper
um zu besetzen
um zu besitzen
der wissen will wissen
der fühlen will empfinden
der sein will die Andere
im anderen Körper
er selbst und mehr und wieder
was er verloren
wieder finden den Körper
im Kopf des Begehrens
Das geht nicht
das wirkt nicht
das lässt sich nicht machen
nicht biegen
nicht härten nicht ertragen
die Folter
die Vergewaltigung des
Kopfs im Geschlecht
Man kann nicht
Man kann Gedanken nicht
nicht lesen
nicht hören
nicht nehmen
nicht nicht
Der Kopf ist nur mein Kopf
nicht dein Kopf
Du Mann mit der Waffe
der zielt aufs Begehren
der rechtet und rechnet
und tötet im Kopf
die Mitte
11.
(Georg und Zerina)
(Sie geht sehr langsam auf ihn zu, setzt sich auf seinen Schoß. Stille.)
Georg
(leise)
Erzähl weiter …
Zerina
Was nur?
Georg
Was immer.
Zerina
Dass sie den Gegenstand – dass sie mich gestochen, geschlagen – dass sie in mich hineingespritzt – dass ich taub geworden – nicht meine Ohren – der Körper. Dass das Wochen, Monate – Dass ich mich angeboten habe, weil der Hunger, wie alle, fast alle – dass ich mich angeboten habe, damit ich nicht muss arbeiten – Aber das haben sie nicht gewollt – sie wollten bestrafen.
So hab ich mich fallen lassen, wenn ich nicht mehr konnte, dann kam die Strafe – Schläge, Haare reißen, das Kneten, das Ohrfeigen, das Hineinstoßen – und nichts, keine Scham mehr – die Scham nur beim ersten Mal, als ich geblutet – und dafür noch heute – und es nützt nichts, wenn ich denke: ich war nur an der Reihe, dass die anderen Frauen schon alle, dass zuletzt auch ich – ich war siebzehn – mager, schon gleich, dann immer mehr – meine Brust, ich war keine Frau …
Es nützt nichts – das Blut – ich habe mich gewehrt ja – Dann später nicht mehr – dann war das nicht mehr ich – dann war das meine Seele nicht mehr …
(Stille)
Du bist gut. Du bist wie ein Vater.
Georg
Vater?
Zerina
Vielleicht weil du schwach.
Georg
Ja sicher. – Weil ich kein Mann mehr bin.
Zerina
Du bist ein Mann.
Georg
Ach.
(Stille)
Zerina
Warum sitz ich auf dir?
Georg
(nach einer Pause)
Fragst du mich?
Zerina
Ja. Warum sitz ich auf dir?
Georg
Um noch weiter weg zu sein …
(Zerina steht abrupt auf; weg von ihm)
Zerina
Du bist gut.
Georg
Vielleicht nicht.
Zerina
Ich bin nicht gut. –
Ich bin ganz allein.
12.
(Georg, Zerina entfernt)
Georg
Wer bist du?
Zerina
Ich, Zerina.
Georg
Ja, aber wer bist du? Du bist so still.
Zerina
Keine Worte.
Georg
Du gehörst mir.
Zerina
Du lässt mich frei.
Georg
Wenn es soweit ist.
Zerina
Wenn ich will.
Georg
Aber wenn du frei bist, gehst du weg.
Zerina
Ja, ich gehe bald.
Georg
Nicht so bald.
Zerina
Was kannst du mir antun? Nichts mehr.
Georg
Ich kann dich erlösen.
Zerina
Töten.
Georg
Erlösen! Von deiner Not, von deinem Elend.
Zerina
Das hat er nicht gesagt.
Georg
Ja, aber ich sag das.
Zerina
Du kannst nichts anderes sagen.
Georg
Ich sage, was ich will.
Zerina
Nein, nur was er gesagt hat.
(Stille)
Was kannst du mir antun? Nichts mehr.
Georg
Ich kann dich erlösen.
Zerina
Töten.
Georg
Erlösen!
Zerina
Aber ich soll betteln.
Georg
Ja, du sollst darum bitten.
Zerina
Nein.
Georg
Dann hast dus selber so gewollt.
Zerina
Es tut weh. Ich will nicht, dass es weh tut.
Georg
Du musst nur bitten.
Zerina
Ich will nicht sterben.
Georg
Aber ich kann dich nicht gehen lassen.
Zerina
Dann weiter. – Weiter!
(Stille)
Georg
Du hast nicht gebettelt?
Zerina
Ich lebe.
Georg
Und er hat nicht aufgehört?
Zerina
Keiner hat aufgehört. Es hört nicht auf.
Georg
Ich würde dir niemals wehtun.
Zerina
Aber mit Worten.
Georg
Mit Worten …
Zerina
Du liebst auch die Macht.
Georg
Ja.
Zerina
Es ist in dir. Es ist in allen.
Georg
Verschlossen aber, ehe du kamst, eh es anfing, deine Geschichte.
Zerina
Ich bin dir dankbar. Für die Arbeit und für das Spiel.
Georg
Was für ein Spiel?
Zerina
Die selben Worte. Und die Erinnerung. – Die Hände. Der Stock. Das Fleisch, das platzt.
(Stille)
Georg
Hast du noch Narben?
Zerina
Du weißt, ich hab die Narben.
Georg
Ich hab sie nicht gesehn.
Zerina
Niemand wird sie sehen, jemals, nur der mich liebt.
Georg
Aber ich liebe dich.
Zerina
Den ich liebe, dessen Hände ich will auf mir. Dem ich mich schenke, für alle Zeit. Den ich spüren werde ohne Hass.
Georg
Aber ob du jemals …
Zerina
Es kommt der Tag.
Georg
Du kannst es nicht wissen.
Zerina
Es wird plötzlich sein, ich weiß es. – Wenn die Angst nicht mehr ist. Wenn die Träume weg sind. Wenn ich dich nicht mehr brauche und die Geschichte nicht mehr erzählen muss, spielen muss – der Hass – dass sie in mich hinein –
(Leise)
Der Schmerz ist Feuer. Der Schmerz ist Eis. Nicht nass, die Kälte. Aufbohren. Ausweiden. Aber vorher heiß machen, so sagen sie, mit Drähten, mit Elektrizität. Das ist ein Spaß. Ein sehr großer Spaß. Jeder darf einmal drehen – drehen an Knöpfen …
13.
(Georg und die drei Damen)
Georg
Ich will bald damit aufhören
Dame 1
Nein nein, das geht nicht.
Georg
Aber doch. Ich muss mich lösen. Die Vergangenheit, wissen Sie, das grübelt. Ich muss ein Leben finden wieder. Und nicht in alten Sachen.
Dame 1
Sie sind aber die beste Adresse.
Georg
Danke. Ich weiß. – Es interessiert mich nicht mehr.
Dame 1
Und wohin soll ich?
Dame 2/Dame 3
Wohin sollen wir?
Die Damen
In Zukunft?
Georg
Sie können selbst ja einen Handel – tun Sie sich zusammen – das Lager riesig. Was wollen Sie in diesem Lager weiterhin? Das ist kein Leben. Alles vollgestellt mit Zeug.
Dame 2
Es ist schön.
Dame 1
Es ist lebendig.
Dame 3
Mühsam manchmal, das ist schon richtig. Eine Sucht. Mein Mann ist ganz verzweifelt manchmal, hat geschworen, nie wieder betritt er einen Antiquitätenladen!
Georg
Und schaffts nicht.
Dame 3
Hierher wenigstens …
Georg
Ja, ich weiß. Dafür aber Sie.
Dame 3
Für mich ist es noch ein Vergnügen.
Dame 1/Dame 2
Vergnügen!
Georg
Ich wills aufgeben. Um was Lebendiges zu tun.
Die Damen
Eine Tierhandlung!?
Georg
Nein nein. Entsetzlich! Irgendwas Anderes. Es muss nicht Handel sein. Ich weiß noch nicht. Die Welt ist jung. Und ich, ein Krüppel, aber stark. Zuerst verkauf ich alle Sachen, im Internet! Dann weiter.
(Klara kommt)
Dame 1
Und was sagt Ihre Frau? Dass Sie das Risiko …
Georg
Sie ist unabhängig. Es kümmert sie nicht.
Klara
Was kümmert mich nicht?
Georg
Dass ich das Geschäft aufgebe. Dass ich neu anfange.
Klara
Was anfange?
Georg
Ein neues Leben.
Klara
Du wirst Hilfe brauchen.
Georg
Nicht deine Hilfe.
Klara
Feierst du jetzt eine Unabhängigkeit, die du nie gehabt hast? Man zwingt dich nicht. Dass du das Geschäft aufgeben willst, dagegen ist nichts zu sagen.
Die Damen
Viel zu sagen.
Klara
(lacht)
Ja, die Kundschaft!
Die Damen
Die erste Adresse
im Antiquitätenhandel
Die größte Fachkompetenz
im Antiquitätenhandel
Klara
Ja, sicher. Aber wenn jemand nicht mehr will, nicht mehr kann …
Georg
Nicht mehr will!
Dame 1
Aber was wäre das Neue?
Georg
Wie gesagt, es wird sich weisen.
Klara
Du wirst Hilfe brauchen.
Die Damen
Hilfe brauchen!
Georg
Nein. Ich brauche keine Hilfe. Ich kann helfen.
Klara
Ach.
Georg
Ich hab Kraft! Genug! In einem geschundenen Körper Energie, die der Körper nicht braucht – nicht den ganzen Körper braucht zumindest. Ich will heraus aus dieser Abhängigkeit. Ich kann heraus aus dieser Abhängigkeit.
Klara
(leise)
Ich soll dich dir selber überlassen? Ganz dir selbst?
Georg
Ja.
Die Damen
Er wird Hilfe brauchen.
14.
(Georg, Klara, Zerina)
Zerina
Ich geh dann jetzt. Kann ich gehn?
Georg
Ja ja, natürlich. Wenn du nicht mit uns essen …
Zerina
Nein, ich bin nicht hungrig.
Georg
Du sollst essen.
Zerina
Ich esse genug.
(Stille. Zerina bewegt sich weg)
Klara
Einen Moment noch.
(Zerina steht)
Ist alles in Ordnung?
Zerina
(lächelnd)
Ja. Alles schön.
Georg
Schön?
Zerina
Ja, schön.
Klara
Gehn Sie nur.
(Zerina geht)
Klara
(nach einer Weile)
Es hat mit dir nichts zu tun.
Georg
Was?
Klara
Dass es ihr gut geht.
Georg
Weil du das weißt.
Klara
Du träumst. Wovon aber?
Georg
Es geht ihr gut. Das ist gut. Und aus. – Und du bist nicht zuständig. Dich gehts nichts an.
Klara
Soll ich weggehn?
Georg
Egal.
Klara
Ich kann weggehn.
Georg
Das bist du ja längst. Zwei Welten, längst getrennt. Ob du anwesend oder nicht, bleibt sich gleich. Wir reden, als ob wir uns erinnern. In die Vergangenheit hinein. – Drum muss das alles weg, das Zeug.
Klara
So wär ich – ein alter Kasten.
Georg
Etwa.
Klara
(lacht)
Nun ja …
(Sie steht auf)
Georg
Was? Du muss nicht verschwinden.
Klara
Ich weiß. Weil ich verschwunden schon bin.
Georg
Genau.
Klara
Dann merkst dus ja gar nicht.
15.
(Georg und Klara)
Georg
Als ob mir der Hals zuwächst. Die gänzliche Lähmung, blitzschnell, bis zur Gurgel, steckt dann, während ich drauf warte, das Bewusstsein zu verlieren. Aber das Bewusstsein bleibt.
Klara
Es hat sich nichts geändert.
Georg
Alles.
Klara
Körperlich.
Georg
Der Tod greift nach mir.
Klara
Im Kopf, alles im Kopf.
Georg
Ja, und wenn?
Klara
Deine Hölle. Die du dir selbst gebaut.
Georg
Ja, selbst. Und wenn? Was hab ich mir gebaut? Die Hoffnung gebaut, das Leben. Keine Hölle.
Schweigst du?
Dass ich schuldig bin? Ja ja. Woran? Sie geht fröhlich, jeden Tag, weg, wohin? Und sie schweigt.
Sie hat mich benutzt. Gespielt mit meiner Freundlichkeit.
Klara
Du bist nicht mehr freundlich. Schon lang nicht mehr.
Georg
Doch, ich bin freundlich. Gütig. Ich bin gütig.
Klara
Gütig niemals. Freundlich, als du bei Kräften. Behindert, nur noch Hass.
Georg
Quatsch.
16.
(Zerina und Klara)
Zerina
Er ist gut.
Klara
Er kann nichts herschenken. Er ist ein Händler.
Zerina
Was?
Klara
Er erwartet sich etwas. Nicht dass er wüsste, was er sich erwartet. Er will in Ihren Kopf, das gelingt nicht, aber vielleicht hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Zerina
In meinen Kopf?
Klara
Werden Sie denn bleiben, wenn Sie legal hierbleiben dürfen?
Zerina
Nein. –
Ich hab jetzt einen Freund, der will das nicht. Ich soll nicht einen alten Mann pflegen. Es tut mir leid. Ich soll dann was anderes arbeiten. Ich soll gar nichts arbeiten, aber er hat auch nicht viel.
Klara
Ein Freund. Der nicht will, dass Sie arbeiten. Je nun. –
Weiß Georg von dem Freund?
Zerina
Nein.
Klara
Warum denn nicht?
Zerina
Ich glaub nicht, dass ers will hören.
Klara
(lacht)
Doch nicht so ganz naiv. Als hätt ichs nicht gewusst.
Zerina
Naiv?
Klara
Wie wirst dus ihm erklären, wenn du gehst?
Zerina
Vielleicht dass meine Eltern – dass sie kommen – oder vielleicht, dass ich – nach Hause …
(Sie weint)
Klara
Gut aufgepasst. Naturgemäß. Dass man sich schützen muss.
Zerina
Ich will nicht lügen. Aber er – er glaubt, ich weiß nicht, dass ich bin sein Besitz.
Klara
So wie dein Freund.
Zerina
Ihn aber liebe ich.
17.
(Alle)
Zerina
(mit einem Koffer)
Ich wollte mich verabschieden.
Georg
Ja. – Gut. – Wie sagt man? Auf Wiedersehn wohl nicht …
Die Damen
Lebwohl.
Georg
Ja, lebwohl. Leb wohl, mein Kind.
Klara
Kind plötzlich.
Georg
Ich verkleinere den Gegenstand, dass ich ihn lassen kann.
Zerina
Ich wollte mich bedanken.
Georg
Ich habe zu danken.
Zerina
Nein. Sie sind gut. Sie waren gut zu mir.
Georg
Kaum.
Ich will nicht, dass du weggehst. Mit deinem tauben Körper in die Welt. Ich will dich beschützen.
Zerina
Das muss jetzt nicht mehr sein. –
Und – das haben Sie nicht können, beschützen, nie.
Georg
Typisch. Du sollst nicht schenken. Mitgefühl schlägt auf den Mitfühlenden zurück.
Klara
Nein. Mitleid, Selbstmitleid. Der enttarnte Benützer.
Georg
Dein Hass –
Klara
Dein Machtspiel –
Zerina
Ich muss es sagen.
Klara
Nein.
Zerina
Ich kann es sagen.
Georg
Was sagen?
Zerina
Ich hab einen Freund jetzt.
Georg
Aha.
Zerina
Der mich liebt. Den ich liebe. Jetzt.
Georg
(lacht)
Ach! Kaum zu glauben. Ausgekämpft. Die Einsicht ins Unvermeidliche.
Zerina
Er ist zart.
Georg
Erst einmal.
Zerina
Er hat Geduld.
Georg
(die Pistole in der Hand)
Geduld?
Zerina
Ich will ein Kind mit ihm haben.
Georg
Im tauben Körper ein taubes Kind.
Zerina
Der Körper ist nicht taub mehr.
(Georg will schießen auf Zerina; nur ein Klicken, keine Patronen. Klara lacht. Die Damen erschreckt, starr. –
Zerina ist auf die Knie gefallen und hat ihr Gesicht in den Händen, Armen verborgen, richtet sich jetzt wieder auf, während Georg weiter zu schießen versucht, aufgibt. Stille)
Georg
Ich weiß ja … nicht … geladen …
18.
(Georg und Klara)
Georg
Ich bin froh, dass du noch da bist.
Klara
Ja?
Georg
Ja. Nicht weil ich Hilfe brauche.
Klara
Aus Gewohnheit.
Georg
Ich brauche Hilfe, aber nicht von dir.
Klara
Ein Fortschritt.
Georg
Du sollst dir die Pflegerin ansehn. Willst du das tun?
Klara
Aber ist das denn nicht Hilfe? Entscheidungshilfe?
Georg
Ja. Tu mir die Liebe.
Klara
(lacht)
Die Liebe. Aus Erinnerung …
Georg
Sie ist eine Krankenschwester. Und schon lange hier. Und hat ein Kind. – Ich weiß nicht, sie ist perfekt.
Klara
Kein Opfer?
Georg
Kein Opfer. Die kann ich nicht retten wollen und nicht besitzen. Das Normale. Der Antiquitätenhandel ist nicht in Gefahr. Nur jemand, damit ich dich nicht brauche. Keine Zerina.
Klara
Gut. – Was muss ich mir die denn ansehn?
Georg
Ich vermisse sie.
Klara
Wen? – Ach …
Georg
Ja, Zerina. – Ich hab mich verliebt – hatte mich verliebt.
Klara
Verliebt wohl eher nicht.
Georg
Doch. Verliebt. Lächerlich, ich weiß.
Klara
Du wolltest sie töten, als sie wegging.
Georg
Ja, natürlich.
Epilog
(Klara und Georg)
Klara
Wie verführerisch die Unschuld
Da hetzen die Hunde
Um zu vernichten
Nicht nur beflecken
Mit Geifer zerfleischen
Da flattern die Vampire heran
Um zu beißen
Und die Zwerge mit ihren Strohhalmen
Die versuchen sie zu stecken
In jedwede Öffnung
Um zu saugen
Und wie auch immer zugeklebt verwildert
Verletzt gejagt
Wie sehr bedroht
Wenn auch erschöpft
Und am Ende aller Kraft
Sie riechen sie durch alle Schichten
Die Hunde die Zwerge die Vampire
Sie riechen die Unschuld die Reinheit
Selbst im verwildertsten im taubsten Körper
Und es muss Mord sein die Tilgung
Da genügt keine Wunde
Jedwede Unschuld in jeder Gestalt
Muss verschwinden von dieser Erde
Georg
Was redest du? Ich versteh nicht –
Ende